Kapitalismus und Staat

“Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen. Nur wenig davon ist in unserem Staat verboten.”

– Bertolt Brecht

Der Kapitalismus hat mittlerweile den Großteil unserer Erdkugel erobert und durchdringt alle Bereiche unseres Lebens. Trotz aller Wandlungen in den letzten Jahrhunderten basiert er weiterhin grundsätzlich auf der Ausbeutung von Mensch und Natur, auf der Ausbeutung der Mehrheit durch eine Minderheit. Diese Minderheit ist die Klasse der Kapitalist:innen, sie verfügt über das Privateigentum an Produktionsmitteln: Ihnen gehören die Fabriken, Maschinen, digitale Infrastruktur und alle anderen wichtigen Produktionsmittel, die für die Herstellung der relevanten Güter in unserer Gesellschaft notwendig sind. Die Mehrheit, das ist unsere Klasse: Die Arbeiter:innenklasse. Sie ist von diesem Eigentum ausgeschlossen und dadurch gezwungen, ihre Arbeitskraft unter ihren Wert an die Kapitalist:innen zu verkaufen, um ihre Existenz zu sichern. Sie umfasst nicht nur das Klischeebild des männlichen, weißen Fabrikarbeiters im Blaumann, sondern auch die alleinerziehende Aldi-Kassiererin, die ausgebrannte Büroangestellte oder den migrantischen Paketboten. Trotz ihrer Zersplitterung und Vielfalt bildet sie die große Mehrheit der Bevölkerung in der BRD. Durch die globale Ausbreitung des Kapitalismus ist die Arbeiter:innenklasse auch weltweit historisch so groß wie noch nie. Über Landesgrenzen, Kulturen und Lebensstile hinweg teilt sie ein gemeinsames Klasseninteresse.

Durch ihre zentrale Rolle im Produktionsprozess ist sie als Klasse in der Lage, die Verhältnisse grundlegend zu ändern. Sie ist wie ein schlafender Riese, der sich seiner Macht noch nicht bewusst ist. Denn während die Kapitalist:innen so viel Profit wie nur möglich aus den Arbeiter:innen pressen und sich auf ihren Rücken bereichern, müssen die Arbeiter:innen für jede kleine Lohnerhöhung kämpfen, obwohl sie es sind, die den ganzen Laden namens Gesellschaft am Laufen halten; obwohl sie es sind, die den gesamten Reichtum in unserer Gesellschaft schaffen, der von den Kapitalist:innen privat angeeignet wird. Das hat jedoch nichts mit der „Gier“ oder der moralischen Verkommenheit von Einzelnen oder gar der „menschlichen Natur“ zu tun, sondern mit den strukturellen Sachzwängen der kapitalistischen Systemlogik, denen alle Kapitalist:innen unterworfen sind und sie zu ständigem Wachstum zwingen. Aufgrund seiner inneren Widersprüche und seiner Produktion nach dem Prinzip der Marktkonkurrenz produziert der Kapitalismus außerdem ständig wiederkehrende Krisen, die regelmäßig zu Massenverarmung, Arbeitslosigkeit und Vernichtung von wirtschaftlichen Ressourcen führen. Außerdem richtet sich die Produktion im Kapitalismus auch nicht nach unseren Bedürfnissen, sondern nach dem größtmöglichen Profit. Dass zum Beispiel die Mieten in vielen Städten explodieren und das gesellschaftliche Bedürfnis nach bezahlbarem Wohnraum nicht erfüllt wird, oder Konzerne die Umwelt und das Klima zerstören, statt auf eine ökologische Produktion umzustellen, ist kein „Versagen“ des kapitalistischen Marktes. Es war nie sein Ziel.

Demonstration in Düsseldorf gegen das neue Versammlungsgesetz

Gleichzeitig entziehen sich im Kapitalismus alle wichtigen wirtschaftlichen Entscheidungen über die Produktion, die das Leben von Milliarden Menschen betreffen, jeglicher demokratischen Kontrolle. Wir haben stattdessen die „Wahl“, alle vier Jahre zu entscheiden, welche Mitglieder der herrschenden Klasse uns ver- und zertreten sollen. Solange jedoch die se ökonomische Macht und damit auch die politische Macht in den Händen einiger Weniger liegt, kann es keine echte Demokratie geben. Um das Privateigentum zu schützen und die kapitalistische Maschinerie aufrechtzuerhalten, ist der Kapitalismus zudem auf ein Gewaltorgan angewiesen: Den bürgerlichen Staat. Mit dem Aufkommen der ersten Klassengesellschaften in der Antike auf Grundlage der Sklaverei, entwickelten sich auch die ersten Staaten als Instrument der jeweiligen herrschenden Klassen, um die ausgebeuteten Klassen zu unterdrücken. So ist auch der heutige bürgerliche Staat mit seinen Gefängnissen, Gerichten, Geheimdiensten und seiner Armee kein neutraler Akteur, der über der Klassengesellschaft schwebt und für das „Allgemeinwohl“ sorgt, sondern ein Machtinstrument im Interesse des Kapitals. Die Polizei ist etwa nicht dafür da, Kätzchen von Bäumen zu retten und uns vor „Verbrechern“ zu beschützen, sondern unter anderem um arme Menschen aus ihren Wohnungen auf die Straße zu prügeln, wenn sie sich die Mieten nicht mehr leisten können, oder ins Gefängnis zu stecken, wenn sie die Tickets für Bus und Bahn nicht bezahlen können. Auch das Eigentumsrecht von Konzernen wie RWE setzen sie mit Knüppelschlägen gegen jeden Widerstand durch, um ganze Dörfer für dreckige Kohle abzureißen. Das alles geschieht ganz legal, denn in unserem sogenannten „Rechtsstaat“ herrscht eine Klassenjustiz: Die herrschenden Gesetze sind die Gesetze der herrschenden Klasse. Gleichzeitig verbreitet der bürgerliche Staat über Schulen und Universitäten systemkonforme kapitalistische Ideologie, um die bestehenden Verhältnisse zu rechtfertigen und jeden Widerstand bereits in den Köpfen der Menschen im Vorfeld auszuschalten, indem der Kapitalismus als „alternativlos“ erklärt wird und der Glaube an grundlegende Alternativen zu ihm durch antikommunistische Propaganda gebrochen werden soll. Auch versucht er, durch Teilzugeständnisse jeden potenziell systemgefährdenden Widerstand in sich zu integrieren und somit unschädlich zu machen. In Zeiten sozialer Unruhen, kämpferischer Streiks und revolutionärer Situationen tritt der repressive Klassencharakter des Staates dabei besonders offen zu Tage. Linksliberale Rufe nach mehr „Diversität“ oder „Verhältnismäßigkeit“ bei seiner Gewaltanwendung ändern allerdings nichts an seinem strukturellen Klassencharakter und seiner objektiven Herrschaftsfunktion.

„Der Staat ist das Produkt und Äußerung der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze. Denn der Staat entsteht dort, dann und insofern, wo dann, wann und inwiefern die Klassengegensätze objektiv nicht versöhnt werden können“

– W. I. Lenin
Demonstration zum 1. Mai, dem internationalen Kampftag der Arbeiter:innenklasse.