Rede zur „Keine Show für Täter“ Demo in Düsseldorf am 10.11.2023

Der mediale und gesellschaftliche Umgang im Fall Lindemann ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie alibimäßig in diesem System auf sexualisierte Gewalt reagiert wird. Unsere täglichen Gewalterfahrungen auf der Straße, auf der Arbeit, in der Familie und in unseren Beziehungen werden heruntergespielt oder uns gänzlich abgesprochen. Patriarchale Gewalttaten prominenter Einzeltäter, wie die Lindemanns werden für wenige Wochen thematisiert und moralisch verurteilt. Aufschreie verstummen dann aber wieder genauso schnell und folgenlos, wie sie zuvor plötzlich und scheinbar zusammenhangslos aufgekommen sind. 

Der mediale Diskurs verläuft im Nichts: Obwohl der Name Lindemann und die Vorwürfe ihm gegenüber quer durch alle Medien gegangen sind, müssen wir hier heute stehen und dagegen kämpfen, dass diesem Mann eine Bühne geboten wird. Obwohl sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch medial thematisiert wurden, werden Frauen & Queers weiterhin jeden Tag misshandelt. 

Dass der Aufschrei im Fall Lindemann so schnell verstummte, hat mehrere Gründe. Und diese gelten nicht nur für seinen Fall, sondern sorgen immer wieder dafür, dass sexualisierte Gewalt keine Konsequenzen nach sich zieht.

Lindemann konnte zahlreiche einstweilige Verfügungen vor Gericht durchsetzen. Betroffene durften fortan medial nicht einmal mehr den Verdacht äußern, dass Lindemann Frauen mit K.O. Tropfen betäubt hätte, um sie zu missbrauchen. Die Gerichte haben seit Beginn des medialen Prozesses um Lindemann Täterschutz betrieben, Frauen durch Zwang zum Schweigen gebracht und ihnen ihre Erfahrungen abgesprochen. 

Sobald Lindemann vor dem bürgerlichen Gericht freigesprochen war, verschwand die Solidarität mit den Betroffenen. Die Einschätzung des Gerichts galten mehr als die Auskünfte derer, die die Gewalt am eigenen Leib erfahren haben. Wir wissen darum, wie schwierig die Täterverurteilung auf Grundlage von Zeugenberichte dritter ist, wenn Täter ihre Gewalt in der Regel hinter verschlossenen Türen alleine mit dem Opfer ausüben. Wir wissen, dass medizinische Gutachten nur dann ein brauchbares Beweismittel darstellen, wenn die Betroffenen unmittelbar nach dem Vorfall zum Arzt gehen. 

Und dennoch werden die Prinzipien der Strafverfolgung nicht angeprangert – weder medial noch gesellschaftlich. Der Obrigkeitsgehorsam siegt mal wieder über die Solidarität mit den mutigen, betroffenen Frauen, die ihre Erfahrungen öffentlich machten und so vermutlich viele weitere Menschen davor bewahrten, betroffen zu werden.  

Woran liegt das? Der Glaube an den Rechtsstaat, die Legitimität unserer Herrschaftsordnungen und die Entscheidungen, die die Herrschenden treffen; Die Verblendung durch die Autorität reicher, mächtiger Männer wie Lindemann und männliche Verbrüderung gegen Frauen lassen mal wieder den Täterschutz siegen und überlässt Betroffene der öffentlichen sozialen Degradierung. Die Folge: Wir können uns nirgends darauf verlassen, dass uns geglaubt wird. Viele von uns isolieren sich und kämpfen alleine mit den Folgen sexueller Übergriffe. 

Wir können dem nur dann schlagkräftig entgegentreten; diese Verhältnisse umwerfen, wenn wir erkennen, dass der Staat nicht unser Freund ist; dass wir uns nicht auf ihn verlassen können, wenn es um unseren Schutz geht. Wenn wir erkennen, dass er nicht für unsere Rechte einstehen wird. Wenn wir aufhören, ihn um Gerechtigkeit zu bitten und sie uns stattdessen gegen ihn gemeinsam erkämpfen. 

Die staatlichen Institutionen, die Lindemann rehabilitiert haben, sind dieselben, die unsere Brüder und Schwestern abschieben und in Kriegsländern dem Tod, politischer Verfolgung und Vergewaltigung überlassen. Dieselben, die emanzipatorische Bewegungen zerschlagen. Dieselben, die unsere Körper zu Gebärmaschinen erklären und uns den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen verwehren. 

Unser Kampf um Befreiung muss sich lösen von dem Glauben an die Reformierbarkeit dieses Systems und der patriarchalen-kapitalistischen Gesellschaft. Sexualisierte Gewalt und der staatliche Täterschutz sind ein Symptom und Instrument dieses Systems und werden in diesem nicht überwunden werden können. 

Frauenkörper sind im patriarchalen Kapitalismus männliches Eigentum. Sexualisierte Gewalt und deren Duldung ist ein Instrument, dieses Herrschaftsverhältnis zu manifestieren und abzusichern – Frauen klein zu halten und ihnen ihre untergeordnete gesellschaftliche Rolle deutlich zu machen. 

Zugleich ist sie Ausdruck des individuellen männlichen Anspruchs auf unsere Körper. Männern wird von klein auf vermittelt, das Recht über unsere Körper zu haben. Es ist perfide, aber es ist wahr: Übergriffe wie die von Lindemann bewegen sich in dem Rahmen, den das kapitalistische Patriarchat Männern gibt und werden dementsprechend nur in dem Maße geahndet, wie es diesem System nicht abträglich ist und emanzipatorische Stimmen besänftigt. 

Antisexistische Kämpfe können wir also nicht vereinzelt, nicht nur im Privaten, nicht vor Gericht und auch nicht nurauf einer “Keine Show für Täter”-Demo gewinnen. Wir müssen sie einbettenin den antikapitalistischen Befreiungskampf. Wir werden der männlichen Herrschaft kein Ende setzen können, wenn wir uns nicht vom Kapitalismus, und den Waren- und Konkurrenzverhältnissen, in die wir zueinander treten, befreien. Wir werden den patriarchalen Kapitalismus nicht brechen, wenn wir nicht mit dem Staat brechen, der diesen aufrechterhält. Nur der Sozialismus versetzt uns in die Lage, langfristig zu gleichberechtigten Menschen werden zu können. 

Es dürfen aber nicht nur Staat und Kapital Gegner in diesem Befreiungskampf sein – dieser Kampf muss auch in uns stattfinden. Wir müssen unsere eigene internalisierte Misogynie herausfordern. Wir müssen sowohl im Kampf auf der Strasse und in den Betrieben wie auch unseren privaten Beziehungen die patriarchale Ideologie, die uns dieses System täglich einprügelt, verlernen. Wir müssen Betroffenen glauben, ihnen zur Seite stehen und ihre Erfahrungen in unseren größeren Kampf einbetten. 

Wir müssen mit unserer Perspektive für eine bessere Welt zur gesellschaftlichen Kraft werden.

Diese Welt wird unsere sein – wenn wir sie uns nehmen.