Rede zum Tag zur Beseitigung von Gewalt an Frauen vom 25.11.2023

Jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland von ihrem Ex- oder Partner umgebracht. Jeden Tag entkommt eine Frau dem Versuch. Mehr als einmal die Stunde wird eine Frau durch ihren Partner gefährlich körperlich verletzt.

Wir sind vor allem dann Gewalt ausgesetzt, wenn wir uns von unserer traditionellen Rolle lossagen wollen, wenn wir die männliche Position infrage stellen,  wenn wir uns von unserem Partner trennen wollen. Wenn wir beruflich aufsteigen oder unser Partner erwerbslos wird.

Uns wird von klein auf beigebracht, dass es die Aufgabe der Frau ist, all ihre Liebesmüh in ihre Beziehung und den Aufbau einer Familie zu stecken. Teilweise wird uns zugestanden, dass wir ein Studium aufnehmen, eine berufliche Karriere anstreben. Früher oder später werden wir aber daran erinnert, dass unsere biologische Uhr abläuft, dass wir uns eine langfristige, ernsthafte Partnerschaft aufbauen und unsere eigenen Wünsche hinter die unseres Partners und das anzustrebende Familienglück stellen sollten. 

Staat und Kapital stellen sicher, dass die Reproduktionsarbeit, die Wiederherstellung des Lebens und der Arbeitskraft, die Haushalts- und Fürsorgearbeit von den gebärenden Personen ausgeführt wird. Durch den Gender pay gap, die ungleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit und die Tatsache, dass Frauen oft in Berufen mit niedrigerem Lohn tätig sind und weniger Aufstiegsmöglichkeiten haben, wird es besonders für Familien in prekären Verhältnissen strukturell notwendig gemacht, dass die Frau die ist, die in Elternzeit geht. 

Staat und Kapital sind darauf angewiesen, dass die Reproduktionsarbeit in der Privatfamilie geregelt wird. Damit sie kostenlos verfügbar bleibt, werden Frauen abgewertet und ihre Arbeit zur freiwilligen Aufopferung aus Liebe verklärt. So kann das Kapital weiter unserer aller Arbeitskraft ausbeuten und sich den dadurch erwirtschafteten Profit in die eigene Tasche stecken.

Während reiche Frauen es sich leisten können, Care-Arbeit an primär migrantische, überausgebeutete Frauen abzugeben, müssen Arbeiter:innen sich parallel zur Reproduktionsarbeit noch mit Minijobs über Wasser halten. 

Widersetzen sich Frauen dem; versuchen sie, aus ihrer Rolle auszubrechen, traditionelle Geschlechterarrangements anzugreifen, reagieren einige Partner mit Gewalt. 

Aufgrund des Besitzanspruches über die Frau, die der Mann von klein auf erlernt hat, erscheint ihm Gewalt als legitimes Mittel, sie an ihre reproduktive Funktion zu fesseln. Aus dem eigenen Vorteil heraus, eine Partnerin zu haben, die sich für lau darum sorgt, dass man am nächsten Tag wieder funktionstüchtig ist, wird der Ehemann zum Vollstrecker des patriarchalen Kapitalismus in den eigenen vier Wänden. 

Männer fühlen sich immer mehr bedroht: Unser Kampf für wachsende Unabhängigkeit zeigt Erfolge; der gesellschaftliche Konkurrenzdruck steigt; erkämpfte soziale Reformen werden rückgängig gemacht; die Armut grassiert. 

In unserer Gesellschaft dürfen Männer ihr Ego gewaltsam wieder aufrichten, wenn ihre gesellschaftliche Position in Gefahr ist – Wenn sie von Krisen betroffen sind, sie Angst vor sozialem Abstieg haben müssen. 

Dieses System darf nicht zulassen, dass der gesellschaftliche Grundwiderspruch, die Ausbeutung der Arbeiter:innen auf allen Ebenen, die Ausbeutung unseres Körpers und unserer Psyche zugunsten der Akkumulation von Kapital einiger weniger kollektiv angegriffen wird. Das Kapital profitiert davon, wenn die daraus entstandene Wut im Privaten entladen wird.

Deswegen unterstützt der Staat uns auch nicht im Kampf für Unabhängigkeit, steht nicht für unsere Gerechtigkeit ein, wenn wir Gewalt durch unsere Partner erleben. 

Die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe musste sich mit langem Atem von Feminist:innen erkämpft werden. Selbst wenn wir die Strafverfolgung entsprechend der bestehenden Gesetze einfordern, geraten wir immer noch mit dem Staat aneinander. 

Es wird es uns erschwert, aus gewaltvollen Beziehungen auszubrechen. Viele von uns sagen sich nicht von toxischen Beziehungen los, ertragen jahrelang häusliche Gewalt, weil diese Welt uns keine bessere Perspektive bietet. 

Wir werden Strukturell abhängig gemacht durch den Gender Pay gap. Darüber hinaus haben viele von uns nur wenige Jahre Berufserfahrung, wenn wir nach dem Kindergroßziehen wieder Lohnarbeiten gehen. Wir finden keine gut bezahlten Jobs, mit denen wir uns und unsere Kinder alleine finanzieren können. 

Es gibt viel zu wenige Unterstützungsangebote für alleinerziehende Mütter, es mangelt an Plätzen in Frauenhäusern. Besonders migrantische Frauen fallen hier durchs Raster. 

Die Perspektive? 

Wir müssen die Grundlagen für Gewalt abschaffen, damit wir alle sicher leben können. 

Wir müssen gemeinsam für eine Welt kämpfen, in der wir uns von unseren patriarchalen Fesseln befreien können. 

Wir müssen den Kapitalismus überwinden, in dem wir bis zur psychischen und körperlichen Erschöpfung unsere Arbeitskraft verkaufen müssen. 

Wir müssen uns eine Wirtschaft erkämpfen, in der gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt wird.

Wir müssen eine Gesellschaft errichten, in der das Kollektiv Verantwortung für die Produktion und Reproduktion des Leben und der Arbeitskraft übernimmt. 

Wir müssen die Besitzverhältnisse, in die Männer und Frauen zueinander treten, überwinden. 

Hand in Hand müssen die Arbeiter:innen aller Länder diese Welt revolutionieren. 

Aber wir warten nicht auf den Sozialismus. Der feministische Befreiungskampf wird seit Jahrhunderten geführt. Es ist unsere Aufgabe, an die Errungenschaften der Frauenbewegung anzuknüpfen, den Kampf für Unabhängigkeit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmtheit im hier und jetzt konsequent weiterzuführen. 

Lasst uns unsere Wut über jede misshandelte und ermordete Schwester zum Sargnagel dieser patriarchalen Gesellschaftsordung werden lassen.